Weltgeld – Hutgut

Heine II


2024-07-08

Tag 7 - in Bad Harzburg

Heinrich 1824 
[erlebte in der Nähe von Bad H. ein dreiteiliges Gedicht]

I. 
Auf dem Berge steht die Hütte,
Wo der alte Bergmann wohnt;
Dorten rauscht die grüne Tanne,
Und erglänzt der goldne Mond.
In der Hütte steht ein Lehnstuhl,
Reich geschnitzt und wunderlich,

Der darauf sitzt, der ist glücklich,
Und der Glückliche bin Ich!
Auf dem Schemel sitzt die Kleine,
Stützt den Arm auf meinen Schoß;
Äuglein wie zwei blaue Sterne,
Mündlein wie die Purpurros’.
Und die lieben, blauen Sterne
Schaun mich an so himmelgroß,
Und sie legt den Lilienfinger
Schalkhaft auf die Purpurros’.
Nein, es sieht uns nicht die Mutter,
Denn sie spinnt mit großem Fleiß,
Und der Vater spielt die Zither,
Und er singt die alte Weis’.
Und die Kleine flüstert leise,
Leise, mit gedämpftem Laut;
Manches wichtige Geheimnis
Hat sie mir schon anvertraut.
»Aber seit die Muhme tot ist,
Können wir ja nicht mehr gehn
Nach dem Schützenhof zu Goslar,
Und dort ist es gar zu schön.
»Hier dagegen ist es einsam
Auf der kalten Bergeshöh’,
Und des Winters sind wir gänzlich
Wie vergraben in dem Schnee.

»Und ich bin ein banges Mädchen
Und ich fürcht’ mich wie ein Kind
Vor den bösen Bergesgeistern,
Die des Nachts geschäftig sind.«
Plötzlich schweigt die liebe Kleine,
Wie vom eignen Wort erschreckt,
Und sie hat mit beiden Händchen
Ihre Äugelein bedeckt.
Lauter rauscht die Tanne draußen,
Und das Spinnrad schnarrt und brummt
Und die Zither klingt dazwischen,
Und die alte Weise summt:
»Fürcht’ dich nicht, du liebes Kindchen,
Vor der bösen Geister Macht;
Tag und Nacht, du liebes Kindchen,
Halten Englein bei dir Wacht!«

II.
Tannenbaum mit grünen Fingern
Pocht ans niedre Fensterlein,
Und der Mond, der gelbe Lauscher,
Wirft sein süßes Licht herein.
Vater, Mutter schnarchen leise
In dem nahen Schlafgemach,
Doch wir beide, selig schwatzend,
Halten uns einander wach.

»Daß du gar zu oft gebetet,
Das zu glauben wird mir schwer,
Jenes Zucken deiner Lippen
Kommt wohl nicht vom Beten her.
»Jenes böse, kalte Zucken,
Das erschreckt mich jedesmal,
Doch die dunkle Angst beschwichtigt
Deiner Augen frommer Strahl.
»Auch bezweifl’ ich, daß du glaubest
Was so rechter Glaube heißt,
Glaubst wohl nicht an Gott den Vater
An den Sohn und heil’gen Geist?«
Ach, mein Kindchen, schon als Knabe,
Als ich saß auf Mutters Schoß,
Glaubte ich an Gott den Vater,
Der da waltet gut und groß;
Der die schöne Erd’ erschaffen,
Und die schönen Menschen drauf,
Der den Sonnen, Monden, Sternen
Vorgezeichnet ihren Lauf.
Als ich größer wurde, Kindchen,
Noch viel mehr begriff ich schon,
Und begriff, und ward vernünftig,
Und ich glaub’ auch an den Sohn;
An den lieben Sohn, der liebend
Uns die Liebe offenbart,
Und zum Lohne, wie gebräuchlich,
Von dem Volk gekreuzigt ward.

Jetzo, da ich ausgewachsen,
Viel gelesen, viel gereist,
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen,
Glaub’ ich an den heil’gen Geist.
Dieser that die größten Wunder,
Und viel größre thut er noch;
Er zerbrach die Zwingherrnburgen,
Und zerbrach des Knechtes Joch.
Alte Todeswunden heilt er,
Und erneut das alte Recht:
Alle Menschen, gleichgeboren,
Sind ein adliges Geschlecht.
Er verscheucht die bösen Nebel
Und das dunkle Hirngespinnst,
Das uns Lieb’ und Lust verleidet,
Tag und Nacht uns angegrinst.
Tausend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heil’ge Geist erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen,
Und er hat sie mutbeseelt.
Ihre teuern Schwerter blitzen,
Ihre guten Banner wehn!
Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen,
Solche stolze Ritter sehn?
Nun, so schau mich an, mein Kindchen,
Küsse mich und schaue dreist;
Denn ich selber bin ein solcher
Ritter von dem heil’gen Geist.

III.
Still versteckt der Mond sich draußen
Hinterm grünen Tannenbaum,
Und im Zimmer unsre Lampe
Flackert matt und leuchtet kaum.
Aber meine blauen Sterne
Strahlen auf in hellerm Licht,
Und es glüht die Purpurrose,
Und das liebe Mädchen spricht:
»Kleines Völkchen, Wichtelmännchen
Stehlen unser Brot und Speck,
Abends ist es noch im Kasten,
Und des Morgens ist es weg.
»Kleines Völkchen, unsre Sahne
Nascht es von der Milch, und läßt
Unbedeckt die Schüssel stehen,
Und die Katze säuft den Rest.
»Und die Katz’ ist eine Hexe,
Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm
Drüben nach dem Geisterberge,
Nach dem altverfallnen Turm.
»Dort hat einst ein Schloß gestanden,
Voller Lust und Waffenglanz;
Blanke Ritter, Fraun und Knappen
Schwangen sich im Fackeltanz.

»Da verwünschte Schloß und Leute
Eine böse Zauberin,
Nur die Trümmer blieben stehen,
Und die Eulen nisten drin.
»Doch die sel’ge Muhme sagte:
Wenn man spricht das rechte Wort
Nächtlich zu der rechten Stunde,
Drüben an dem rechten Ort:
»So verwandeln sich die Trümmer
Wieder in ein helles Schloß,
Und es tanzen wieder lustig
Ritter, Fraun und Knappentroß;
»Und wer jenes Wort gesprochen,
Dem gehören Schloß und Leut’,
Pauken und Trompeten huld’gen
Seiner jungen Herrlichkeit.«
Also blühen Märchenbilder
Aus des Mundes Röselein,
Und die Augen gießen drüber
Ihren blauen Sternenschein.
Ihre goldnen Haare wickelt
Mir die Kleine um die Händ’,
Giebt den Fingern hübsche Namen,
Lacht und küßt, und schweigt am End’.
Und im stillen Zimmer alles
Blickt mich an so wohlvertraut;
Tisch und Schrank, mir ist als hätt’ ich
Sie schon früher mal geschaut.

Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr
Und die Zither, hörbar kaum,
Fängt von selber an zu klingen,
Und ich sitze wie im Traum.
Jetzo ist die rechte Stunde,
Und es ist der rechte Ort;
Staunen würdest du, mein Kindchen,
Spräch’ ich aus das rechte Wort.
Sprech’ ich jenes Wort, so dämmert
Und erbebt die Mitternacht,
Bach und Tannen brausen lauter,
Und der alte Berg erwacht.
Zitherklang und Zwergenlieder
Tönen aus des Berges Spalt,
Und es sprießt, wie’n toller Frühling
Draus hervor ein Blumenwald.
Blumen, kühne Wunderblumen,
Blätter, breit und fabelhaft,
Duftig bunt und hastig regsam,
Wie gedrängt von Leidenschaft.
Rosen, wild wie rote Flammen,
Sprühn aus dem Gewühl hervor;
Lilien, wie krystallne Pfeiler,
Schießen himmelhoch empor.
Und die Sterne, groß wie Sonnen,
Schaun herab mit Sehnsuchtsglut;
In der Lilien Riesenkelche
Strömet ihre Strahlenflut.

Doch wir selber, süßes Kindchen,
Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide
Schimmern lustig um uns her.
Du, du wurdest zur Prinzessin,
Diese Hütte ward zum Schloß,
Und da jubeln und da tanzen
Ritter, Fraun und Knappentroß.
Aber ich, ich hab’ erworben,
Dich und alles, Schloß und Leut’:
Pauken und Trompeten huld’gen
Meiner jungen Herrlichkeit!

ThomasMB - 20:49:41 | 3 Kommentare

  1. ThomasMB

    2024-07-08

    Leider habe ich kein ähnliches Gedicht erlebt. Aber ich habe einen netten Tag in Bad H. vergammelt: morgens schönes Frühstück im Café Flora, dann Spaziergang durch die Stadt mit kleineren Einkäufen, dann ein Nickerchen in meiner Ferienbutze an der Radau, ach, halt, vorher ein leckeres Mittagessen Penne Alio Olio beim Italiener, nach dem Nickerchen in einem spirituellen Buch von Josef van Scharrel gelesen, dessen Männerseminar im Februar ich im Kloster Münsterschwarzach besucht habe; den Abend ließ ich bei ein paar Herzhaftigkeiten ausklingen.

  2. Klaus

    2024-07-08

    Lieber Wandererfreund,
    Es erfüllt mich mit großer Erleichterung, dass Ihr in Bad Harzburg nicht auch ein so langes Gedicht erleben musstet wie Heinrich I, welches zwar erbaulich aber auch etwas erschöpfend ist. Nur zu gut, dass Ihr stattdessen in aller Genügsamkeit mit Einkaufen, Essen, Schlendern und Lesen verbringen konntet.
    Mit freundschaftlichen Gruße
    Euer Klaus

  3. ThomasMB

    2024-07-09

    Lieber In-Gedanken-Mitwanderer Klaus!
    🤣🤣🤣
    Es kann trotzdem lohnen, das etwas langatmige Gedicht zu lesen, denn es ist 1. wirklich „romantisch“,
    2. enthält es interessante Umdeutungen von „Vater, Sohn, Hlg. Geist“ und
    3.: Wie alt mag die „liebe Kleine“ wohl in Wirklichkeit gewesen sein, mit der er die Nacht durchdiskutierte, während Vati und Mutti schon „leise schnarchen“?
    Freundschaftlich,
    Heine II.

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