Weltgeld – Hutgut

Heine II


2024-07-08

Tag 6 – nach Bad Harzburg

Heinrich 1824: 
Von Goslar ging ich den andern Morgen weiter, halb auf Geratewohl, halb in der Absicht, den Bruder des Klausthaler Bergmanns aufzusuchen. Wieder schönes, liebes Sonntagswetter. Ich bestieg Hügel und Berge, betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu verscheuchen suchte, wanderte freudig durch die schauernden Wälder, und um mein träumendes Haupt klingelten die Glockenblümchen von Goslar. In ihren weißen Nachtmänteln standen die Berge, die Tannen rüttelten sich den Schlaf aus den Gliedern, der frische Morgenwind frisierte ihnen die herabhängenden, grünen Haare, die Vöglein hielten Betstunde, das Wiesenthal blitzte wie eine diamantenbesäete Golddecke, und der Hirt schritt darüber hin mit seiner läutenden Herde. 
Ich mochte mich wohl eigentlich verirrt haben. Man schlägt immer Seitenwege und Fußsteige ein, und glaubt dadurch näher zum Ziele zu gelangen. Wie im Leben überhaupt, geht’s uns auch auf dem Harze. Aber es giebt immer gute Seelen, die uns wieder auf den rechten Weg bringen; sie thun es gern, und finden noch obendrein ein besonderes Vergnügen daran, wenn sie uns mit selbstgefälliger Miene und wohlwollend lauter Stimme bedeuten, welche große Umwege wir gemacht, in welche Abgründe und Sümpfe wir versinken konnten, und welch ein Glück es sei, daß wir so wegkundige Leute, wie sie sind, noch zeitig angetroffen. Einen solchen Berichtiger fand ich unweit der Harzburg. Es war ein wohlgenährter Bürger von Goslar, ein glänzend wampiges, dummkluges Gesicht; er sah aus, als habe er die Viehseuche erfunden. Wir gingen eine Strecke zusammen, und er erzählte mir allerlei Spukgeschichten, die hübsch klingen konnten, wenn sie nicht alle darauf hinaus liefen, daß es doch kein wirklicher Spuk gewesen, sondern daß die weiße Gestalt ein Wilddieb war, und daß die wimmernden Stimmen von den eben geworfenen Jungen einer Bache (wilden Sau), und das Geräusch auf dem Boden von der Hauskatze herrührte. Nur wenn der Mensch krank ist, setzte er hinzu, glaubt er Gespenster zu sehen; was aber seine Wenigkeit anbelange, so sei er selten krank, nur zuweilen leide er an Hautübeln, und dann kuriere er sich jedesmal mit nüchternem Speichel. Er machte mich auch aufmerksam auf die Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit in der Natur. Die Bäume sind grün, weil grün gut für die Augen ist. Ich gab ihm Recht, und fügte hinzu, daß Gott das Rindvieh erschaffen, weil Fleischsuppen den Menschen stärken, daß er die Esel erschaffen, damit sie den Menschen zu Vergleichungen dienen können, und daß er den Menschen selbst erschaffen, damit er Fleischsuppen essen und kein Esel sein soll. Mein Begleiter war entzückt, einen Gleichgestimmten gefunden zu haben, sein Antlitz erglänzte noch freudiger, und bei dem Abschiede war er gerührt.
So lange er neben mir ging, war gleichsam die ganze Natur entzaubert; sobald er aber fort war, fingen die Bäume wieder an zu sprechen, und die Sonnenstrahlen erklangen, und die Wiesenblümchen tanzten, und der blaue Himmel umarmte die grüne Erde. Ja, ich weiß es besser; Gott hat den Menschen erschaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere. Jeder Autor, und sei er noch so groß, wünscht, daß sein Werk gelobt werde. Und in der Bibel, den Memoiren Gottes, steht ausdrücklich, daß er die Menschen erschaffen zu seinem Ruhm und Preis.
Nach einem langen Hin- und Herwandern gelangte ich nach der Wohnung des Bruders meines Klausthaler Freundes, übernachtete alldort, und erlebte folgendes schöne Gedicht: […] 

ThomasMB - 20:33:27 | 2 Kommentare

  1. ThomasMB

    2024-07-08

    Da ging es mir ganz wie meinem Freund Heinrich: auch ich muss wohl sagen, ich habe mich verirrt. Und sicher nicht nur einmal, sondern mindestens dreimal. Es fing schon damit an, dass mein Reiseführer die Route erst mit ein paar Straßen höher beginnen ließ, so dass ich den Startpunkt mit zwei Anläufen selbst finden musste. Dann ging es munter auf sehr schönen, malerischen Wegen, bis es im Reiseführer hieß: man überquere ein Bächlein auf einer Holzbrücke und halte sich nach links. Da ist aber weit und breit keine Holzbrücke gab (sie war einfach abgebaut), irrte ich auf verschiedenen Wegen in der Harzlandschaft herum, bis es mir gelang, in der Ortschaft Oker wieder Anschluss an den Reiseführer zu bekommen. Ab da ging es wieder gut orientiert nach Bad Harzburg.
    Zwei Cafés sind als Haltepunkte zu empfehlen: erstens das Café Goldberg, eher ein Omma-Kaffee und zweitens das Café Winuwuk, ein Künstler-Kaffee. Letzteres ist wohl mal von richtigen Künstlern betrieben worden. Jetzt ist das Café zwar mit seinen fehlenden Winkeln schön anzuschauen, aber der Kunstteil besteht eher aus auf Kunst getrimmten Stehrümchen. Nach gut 13 km hatte ich dann endlich Bad Harzburg erreicht.

  2. Klaus

    2024-07-08

    Geehrter Wanderer des Harzes,
    Gut, dass Ihr nun trotz mancher Irrwege wohlbehalten in Harzburg angelangt bist. Gut auch, dass Ihr nicht auf jene Art von Wegkundigen angewiesen ward, wie sie Heinrich I. in seiner recht ausführlichen Darstellung beschrieben hat, um wieder auf den rechten Pfad zu gelangen.
    Mit herzlichem Gruße, Dein Freund
    Klaus

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