Weltgeld – Hutgut

Heine II


2024-06-25

Tag 1

Hier spricht HEINRICH 1824: Es war noch sehr früh, als ich Göttingen verließ, und der gelehrte ** lag gewiß noch im Bette und träumte wie gewöhnlich, er wandle in einem schönen Garten, auf dessen Beeten lauter weiße mit Citaten beschriebene Papierchen wachsen, die im Sonnenlichte lieblich glänzen, und von denen er hie und da mehrere pflückt, und mühsam in ein neues Beet verpflanzt, während die Nachtigallen mit ihren süßesten Tönen sein altes Herz erfreuen.
Vor dem Weender Thore begegneten mir zwei eingeborne kleine Schulknaben, wovon der eine zum andern sagte: »Mit dem Theodor will ich gar nicht mehr umgehen, er ist ein Lumpenkerl, denn gestern wußte er nicht mal, wie der Genitiv von mensa heißt.« So unbedeutend diese Worte klingen, so muß ich sie doch wieder erzählen, ja, ich möchte sie als Stadt-Motto gleich auf das Thor schreiben lassen; denn die Jungen piepsen, wie die Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen, trocknen Notizenstolz der hochgelahrten Georgia Augusta.
Auf der Chaussee wehte frische Morgenluft, und die Vögel sangen gar freudig, und auch mir wurde allmählich wieder frisch und freudig zu Mute. Eine solche Erquickung that not. Ich war die letzte Zeit nicht aus dem Pandektenstall herausgekommen, römische Kasuisten hatten mir den Geist wie mit einem grauen Spinnweb überzogen, mein Herz war wie eingeklemmt zwischen den eisernen Paragraphen selbstsüchtiger Rechtssysteme, beständig klang es mir noch in den Ohren wie »Tribonian, Justinian, Hermogenian und Dummerjahn«, und ein zärtliches Liebespaar, das unter einem Baume saß, hielt ich gar für eine Korpusjurisausgabe mit verschlungenen Händen. Auf der Landstraße fing es schon an lebendig zu werden. Milchmädchen zogen vorüber; auch Eseltreiber mit ihren grauen Zöglingen. Hinter Weende begegneten mir der Schäfer und Doris. Dieses ist nicht das idyllische Paar, wovon Geßner singt, sondern es sind wohlbestallte Universitätspedelle, die wachsam aufpassen müssen, daß sich keine Studenten in Bovden duellieren, und daß keine neuen Ideen, die noch immer einige Decennien vor Göttingen Quarantaine halten müssen, von einem spekulierenden Privatdocenten eingeschmuggelt werden. Schäfer grüßte mich sehr kollegialisch; denn er ist ebenfalls Schriftsteller, und hat meiner in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie er mich denn auch außerdem oft citiert hat und, wenn er mich nicht zu Hause fand, immer so gütig war, die Citation mit Kreide auf meine Stubenthür zu schreiben. Dann und wann rollte auch ein Einspänner vorüber, wohlbepackt mit Studenten, die für die Ferienzeit oder auch für immer wegreisten. In solch’ einer Universitätsstadt ist ein beständiges Kommen und Abgehn, alle drei Jahre findet man dort eine neue Studentengeneration. Das ist ein ewiger Menschenstrom, wo eine Semesterwelle die andere fortdrängt, und nur die alten Professoren bleiben stehen in dieser allgemeinen Bewegung, unerschütterlich fest, gleich den Pyramiden Ägyptens – nur daß in diesen Universitätspyramiden keine Weisheit verborgen ist.
Aus den Myrtenlauben bei Rauschenwasser sah ich zwei hoffnungsvolle Jünglinge hervorreiten. Ein Weibsbild, das dort sein horizontales Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landstraße das Geleit, klätschelte mit geübter Hand die mageren Schenkel der Pferde, lachte laut auf, als der eine Reiter ihr hinten auf die breite Spontaneität einige Galanterien mit der Peitsche überlangte, und schob sich alsdann gen Bovden. Die Jünglinge aber jagten nach Nörten, und johlten gar geistreich, und sangen gar lieblich das Rossini’sche Lied: »Trink Bier, liebe, liebe Lise!« Diese Töne hörte ich noch lange in der Ferne; doch die holden Sänger selbst verlor ich bald völlig aus dem Gesichte, sintemal sie ihre Pferde, die im Grunde einen deutsch langsamen Charakter zu haben schienen, gar entsetzlich anspornten und vorwärtspeitschten. Nirgend wird die Pferdeschinderei stärker getrieben als in Göttingen, und oft, wenn ich sah, wie solch eine schweißtriefende, lahme Kracke für das bißchen Lebensfutter von unsern Rauschenwasserrittern abgequält ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen voll Studenten fortziehen mußte, so dachte ich auch: »O du armes Tier, gewiß haben deine Voreltern im Paradiese verbotenen Hafer gefressen!«
Im Wirtshause zu Nörten traf ich die beiden Jünglinge wieder. Der eine verzehrte einen Heringssalat, und der andere unterhielt sich mit der gelbledernen Magd, Fusia Kanina, auch Trittvogel genannt. Er sagte ihr einige Anständigkeiten und am Ende wurden sie handgemein. Um meinen Ranzen zu erleichtern, nahm ich die eingepackten blauen Hosen, die in geschichtlicher Hinsicht sehr merkwürdig sind, wieder heraus und schenkte sie dem kleinen Kellner, den man Kolibri nennt. Die Bussenia, die alte Wirtin, brachte mir unterdessen ein Butterbrot, und beklagte sich, daß ich sie jetzt so selten besuche, denn sie liebt mich sehr.
Hinter Nörten stand die Sonne hoch und glänzend am Himmel. Sie meinte es recht ehrlich mit mir und erwärmte mein Haupt, daß alle unreife Gedanken darin zur Vollreife kamen. Die liebe Wirtshaussonne in Nordheim ist auch nicht zu verachten; ich kehrte hier ein, und fand das Mittagessen schon fertig. Alle Gerichte waren schmackhaft zubereitet, und wollten mir besser behagen, als die abgeschmackten akademischen Gerichte, die salzlosen, ledernen Stockfische mit ihrem alten Kohl, die mir in Göttingen vorgesetzt wurden. Nachdem ich meinen Magen etwas beschwichtigt hatte, bemerkte ich in derselben Wirtsstube einen Herrn mit zwei Damen, die im Begriff waren abzureisen. Dieser Herr war ganz grün gekleidet, trug sogar eine grüne Brille, die auf seine rote Kupfernase einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der König Nebukadnezar in seinen spätern Jahren ausgesehen hat, als er, der Sage nach, gleich einem Tiere des Waldes nichts als Salat aß. Der Grüne wünschte, daß ich ihm ein Hotel in Göttingen empfehlen möchte, und ich riet ihm, dort von dem ersten besten Studenten das Hotel de Brühbach zu erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitläuftige Dame, ein rotes Quadratmeilen-Gesicht mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen, ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichtes zu sein schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig festonierten Krägen, wie mit Türmchen und Bastionen, umbaut war und einer Festung glich, die gewiß eben so wenig wie jene andern Festungen, von denen Philipp von Macedonien spricht, einem mit Gold beladenen Esel widerstehen würde. Die andere Dame, die Frau Schwester bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen. Stammte jene von Pharao’s fetten Kühen, so stammte diese von den magern. Das Gesicht nur ein Mund zwischen den Ohren, die Brust trostlos öde wie die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem Freitisch für arme Theologen. Beide Damen fragten mich zu gleicher Zeit, ob im Hotel de Brühbach auch ordentliche Leute logierten. Ich bejahte es mit gutem Gewissen, und als das holde Kleeblatt abfuhr, grüßte ich nochmals zum Fenster hinaus. Der Sonnenwirt lächelte gar schlau und mochte wohl wissen, daß der Karcer von den Studenten in Göttingen Hotel de Brühbach genannt wird.
Hinter Nordheim wird es schon gebirgig, und hier und da treten schöne Anhöhen hervor. Auf dem Wege traf ich meistens Krämer, die nach der Braunschweiger Messe zogen, auch ein Schwarm Frauenzimmer, deren jede ein großes, fast häuserhohes, mit weißem Leinen überzogenes Behältnis auf dem Rücken trug. Darin saßen allerlei eingefangene Singvögel, die beständig piepsten und zwitscherten, während ihre Trägerinnen lustig dahinhüpften und schwatzten. Mir kam es gar närrisch vor, wie so ein Vogel den andern zu Markte trägt.
In pechdunkler Nacht kam ich an zu Osterode. Es fehlte mir der Appetit zum Essen, und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war müde wie ein Hund und schlief wie ein Gott. […]

ThomasMB - 18:45:41 | 6 Kommentare

  1. Torgelow13

    2024-06-25

    Hallo!
    Bald geht‘s los!

  2. DagmarBB

    2024-06-30

    Hallo Thomas! Na, wie geht’s mit Heine?

  3. DagmarBB

    2024-06-30

    Hallo!

  4. ThomasMB

    2024-07-02

    Nach – unerwartet – guter Nacht im BOX-Hotel und leger Frühstück im „Crönchen“ ging’s los: Ab Gänseliesl in Richtung Weender Tor und von dort über Bovenden nach Nörten-Hardenberg; insgesamt 13,4 km mit mäßiger Steigung. Ich wusste gar nicht, wie schön Alt-Weende ist. Man kann zwischen malerischen Häusern hindurchlaufen und einiges entdecken.
    Mein Wanderfreund Heine hatte 1824 ja viele Begegnungen auf seiner Strecke zum Beispiel zwei Schulbuben, etwas arrogante Lateinkundige, oder die beiden Universität Pedells „Schäfer und Doris“. Und nun stellt sich die Frage: Welche Begegnungen hatte ich? Es ging am Gänseliesl los mit einem vermutlich ostdeutschen Schlaukopf. Es gibt ja Menschen, die alles wissen und es vor allen Dingen anderen aufnötigen. So konnte ich erfahren, dass die Gänseliesl als Original in Leipzig von irgendeinem vermögenden Industriellen hinter Verschluss gehalten wird, was ich aber nicht wissen wollte. In Weende, konnte man höchstens einen kackenden Mops bestaunen, der aber natürlich nicht zu einem Gespräch bereit war. Außer einsamen Spaziergängern jeglicher Art gab es weiter keine großartigen Begegnungen. Erst in Bovenden im Eiscafé Venezia gab es ein nettes Gespräch mit dem kroatischen Betreiber Nizo.
    So, und nun liege ich in meinem Hotelzimmer im Oha Hotel in Osterode, besser gesagt, bei Osterode; sehr schön eingerichtet und gar nicht teuer. Leider etwas abseits vom Schuss. Da ich keine Lust hatte, mit dem Bus kompliziert in den Ort zu fahren, begnügen ich mich mit einem dreigängigen Edel-Menü: zwei Müsliriegel und eine Praline. Sollte ich es noch schaffen, könnt ihr das Edel Menü per Foto bestaunen. Call It a Day.

  5. Klaus

    2024-07-05

    Ich hoffe, das Mahl hat Euch gemundet, und wünsche Euch für die nächsten Tage eine reichhaltigere Speisung, auf dass Ihr die Wanderung wohlbehalten besteht.

    Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich Euer ergebener Freund.

  6. ThomasMB

    2024-07-05

    Meine Jüte, Klaus. Heinrich ist be-GEIST-ert, das sich noch jmd. korrekt schreiben kann! Ich rede ja mit ihm während unserer Wanderung, denn außer Mönchsgrasmücken und Blindschleichen (und Mointainbikern) is‘ wenig Gesellschaft. Macht aber Spaß, die Harzreise.

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